Sehr
geehrter Herr Bürgermeister,
meine
Damen und Herren,
es
freut mich sehr, dass ich Ihnen zur Eröffnung der Ausstellung über Leben
und Werk meines Urgroßvaters Otto Piltz und seiner Beziehung zu Sömmerda
einige Ausführungen machen darf.
„Öttchen“,
wie er sich selbst in seiner Familie nannte, begleitet mich von
Kindesbeinen an. Marie, meine Großmutter, sprach mit großer Liebe von
ihrem Vater. Einige seiner Skizzen, Studien und Bilder hingen an den Wänden
im Haus meiner Großeltern in Berlin. Besonders die großformatige „Thüringer
Backstube“ von 1874, die heute bei mir zu Hause hängt, erzählte mir
Geschichten aus einer vergangenen Zeit. Ich kannte nur Backstuben mit
gefliesten Wänden, Teigknetmaschinen und elektrischen Öfen. In Piltzens
Welt war sie ein heimeliger, warmer Ort der Kommunikation. Man sieht
darauf folgendes:
Das durch die offene Tür
einfallende Licht beleuchtet eine Frau, sie trägt ein daheim
vorbereitetes Kuchenblech auf
dem Kopf in die Backstube, eine andere bestreicht einen auf dem Boden
liegenden Kuchen mit Eigelb und eine dritte gießt unter Beobachtung ihrer
Tochter einen Belag auf das Backwerk. In dunkler Ecke tratschen zwei
Frauen und verkürzen sich die Wartezeit. Der Bäcker am rot-glühenden
Ofenloch, der einzige Mann in dem Bild mit 11 Figuren, kehrt dem
Betrachter den Rücken zu. Eine dunkelhäutige Gestalt – Mann oder Frau
- mit einem Kind auf dem Arm gibt mir ein besonderes Rätsel auf –
sollte es einer der Mohren sein, die damals an den Fürstenhäusern als
Diener üblich waren.
Seine
Lebensdaten:
Otto
Piltz wurde 1846 als ältester Sohn des Seifensieders Christian Piltz und
seiner Ehefrau Charlotte Hildemann in Allstedt/Thüringen geboren.
Nach
der Lehre als Dekorationsmaler in Halle ging er bis 1866 auf Wanderschaft
und arbeitete in München und Wien, danach
studierte er bis 1871 „Genremalerei“ an der Kunstschule in
Weimar bei den Professoren Thumann, Plockhorst und Verlat.
Nach
Abschluss des Studiums ließ er sich in Weimar als Maler nieder.
In
den hessischen Künstlerkolonien Kleinsassen und Willingshausen hält er
sich in den 70er Jahren mehrfach auf, ohne sich diesen Gruppen anzuschließen.
Zwischen
79 und 84 verbringt er die Sommermonate mit seiner Familie in Cappel bei
Marburg und malt dort Bilder in der Kirche und in der alten Schäferei am
Glaskopf. Im Jahr 82 wird Otto Piltz der Professorentitel der Kunstschule
Weimar verliehen, ohne das damit eine Lehrtätigkeit verbunden war. Die
Konkurrenz unter den vielen in der Residenzstadt Weimar angesiedelten
Malern war groß, dies könnte ihn bewegt haben, 1886 mit seiner Familie
nach Berlin zu ziehen, wo er sich von der schnell wachsenden Hauptstadt
des Reiches mit seinem zahlungskräftigen Publikum ein besseres Auskommen
versprach. Hier konnte er über den Kunsthandel eine große Zahl seiner
Bilder in Deutschland, dem europäischen Ausland und den USA absetzen.
Er
beteiligte sich regelmäßig an den jährlichen Kunstausstellungen in
Berlin und München. Diverse Auszeichnungen auf Ausstellungen erhielt er
in London, Berlin und Salzburg.
Von
Berlin aus unternahm Piltz Studienaufenthalte in den Spreewald, wo er ähnlich
wie in Cappel noch unverfälschtes bäuerliches Leben vorfand, die
Menschen trugen ihre Trachten nach den überlieferten regionalen Regeln.
89 folgt der Umzug nach München wo er dann bis zu seinem Tod 1910 lebte
und arbeitete.
Piltz
und die Genremalerei.
Die
heute in der Kunstgeschichte kaum reflektierte Genremalerei war
insbesondere in den Jahrzehnten 1870 bis 1900 sehr gefragt, da sie das tägliche
Leben – wenn auch häufig in idealisierender Weise – realistisch
abbildete. Das städtische, bürgerliche Publikum schmückte die Wände
seiner Salons mit diesen Werken, da es häufig dem bäuerlichen Leben
entstammte, konnten es ihm so nachträumen.
Die
1860 vom kunstsinnigen Weimarer Großherzog Carl-Alexander gegründete
Kunstschule brachte einige hervorragende Genremaler hervor, unter ihnen
Carl Gussow, Wilhelm Hasemann und Otto Piltz. Bis Ende der 70er Jahre galt
Weimar als Hochburg der Genremalerei.
Zum
Durchbruch gelangte Otto Piltz mit seinen Kinderbildern, wie "Turnunterricht
auf dem Lande", "Verwahrschule in Weimar"
und "Mittagessens in einer Kinderpension", letzteres wurde
sogar von Kaiser Wilhelm I. angekauft. Es gab bereits zeitgenössische
Kritiker, wie den Weimarer Gustav Floerke, die nicht nur den erzählerischen
Gehalt würdigten: „Piltz in seiner nackten naiven Wahrhaftigkeit ist
der beste Beweis dafür, dass die Genremalerei durchaus nicht für alle
Zeiten einen Gegensatz zur wirklich malerischen Malerei zu bilden
braucht; vielmehr sieht man bereits an ihm, wie die wiederum
moderne, rein malerisch-naturalistische Weltanschauung die Genremalerei
zur lebenswahren und lebensfähigen Existenzmalerei umwandelt.“
Eine
gewichtige Stimme seiner Zeit soll nicht unerwähnt bleiben. Der Berliner
„Malerfürst“ Adolph von Menzel würdigte 78 die eben bereits erwähnte
"Verwahrschule in Weimar" in einem persönlichen Brief an Otto Piltz:
Lieber
Herr Piltz
...
Und ich kann Ihnen dann auch gestehen daß ich dieses Bild weit über Ihre
beiden früheren, die mir bekannt wurden rangire. Dieses zuerst zeigt mir
ein künstlerisches Auswählen der Motive; kein mehr nur Zugreifen nach
dem Erstenbesten, sondern ein Ausnützen und Verarbeiten all der
reizvollen Mannigfaltigkeit, die aus dem In- und Durcheinandertreffen und
Getriebe solcher Menge Kinder aus Allerwelts-Eltern gleichsam explodirt.
Und wieviel geistreichere Malerei und Farbenensemble! als namentlich das nächstletzte.
Wie schmackhaft hier die Erweiterung des Kinderstalls in den zweiten Raum
dahinter! Ich würdige übrigens (aus eigenen Versuchen) was es heißen
will Kindern auch nur mit Malgedanken- u. Augen, geschweige mit Bleistift oder gar Pinsel auf den Fersen sein...
Das
Licht spielt in seinen Werken eine große Rolle; es trennt das Wichtige
vom Unwichtigen, die zentrale Handlung von den Nebenhandlungen. Mit diesem
Mittel gelingt es ihm trotz seiner akribischen Detailtreue das Wesentliche
erkennbar zu machen und das Auge des Betrachters zu führen. In späteren
Werken ist durchaus seine Auseinandersetzung mit den französischen
Impressionisten spürbar.
Seine
Arbeit begann mit Skizzen, z.T. auch mit dem neuen Mittel, der Fotografie,
Farbstudien in Aquarell oder Öl der Details und dann der Komposition des
Bildes. In seinen Bildern kehren immer wieder die gleichen Versatzstücke
wie Möbel, die Büste der Anna Amalia oder Bildnisse der jeweiligen
Landesherren, die dann in unterschiedlichen Szenen Verwendung fanden.
Einige der Möbel sind erhalten, so arbeite ich täglich an dem
Schreibtisch, der auf dem Bild Mädchen beim Stricken und
Scherenschnitt im Vordergrund zu sehen ist.
Welche
Themen haben Otto Piltz bewegt?
„Von
der Wiege bis zur Bahre“, vorwiegend Menschen des ländlichen Raums in
vielfältigen Situationen ihres Lebens. Bernhard Hermann aus Cappel bei
Marburg, der seit über 10 Jahren in Sachen Otto Piltz forscht, hat für
diese Ausstellung ca. 90 Bilder aus unserer Sammlung von mehr als 300
Zeichnungen, Studien und Bildern ausgewählt, die Reproduktionen gerahmt
und nach Themen wie Kinder, Schule, Kirche, Beruf, Freizeit oder Ort der
Handlung gegliedert.
Otto
Piltz fand seine Motive auf mehrwöchigen Studienreisen in Thüringen,
Hessen, Spreewald, Bayern und Tirol, gegen Ende seiner Schaffenszeit auch
in Volendam/Holland. Neben diesen Arbeiten erstellte er im Auftrag auch
Portraits, um den Lebensunterhalt aufzubessern. Aus dem städtischen
Berlin sind uns bisher nur die Studien auf dem Kreuzberg (die
Originale können Sie in der Vitrine betrachten) und das Bild Volkstreiben
auf dem Kreuzberg bekannt.
Was
bringt Piltz nach Sömmerda?
Otto
war Ältester von sechs Geschwistern. Sein Bruder Hermann als Zahlmeister
des preußischen Militärs zeitweise in Sömmerda, seine Schwester Maria
verheiratet mit dem Sömmerdaer „Kunstgärtner“ Albert Kirsch. Diese
Umstände erleichterten es ihm, vor Ort seine Musikantenbilder zu malen.
Die Buchbinder’sche Musikschule, die seit Generationen im Turm der
Bonifaziuskirche angesiedelt war, bot die Kulisse, an der Otto nicht
vorbeigehen konnte. In einem literarischen Beitrag erschienen 1890 in der
Publikumszeitschrift „Daheim“, beschreibt er anschaulich das Leben und
Lernen in diesem Turm, Sie können ihn in der Vitrine nachlesen. Seine
Musikerbilder entstanden zwischen 1888
bis 1904.
Ein
Geburtstagsbrief an seine 15-jährige Tochter Marie, meine Großmutter,
belegt, dass er 1898 längere Zeit in Sömmerda malte und auch
Kontakt mit den Honoratioren der Stadt hatte:
Mein
liebes, liebes Mariechen!
...Dein
lieber Vater gratuliert Dir von ganzen Herzen recht, recht schön!!! ich
habe Dich sehr, sehr lieb und will recht gut mit Dir sein wenn ich wieder
heim komm.
Eigentlich
wollte ich zu Deinem Geburtstage meine Musikantenbilder heim schicken,
doch so schnell kann ich sie doch nicht aus dem Aermel schütteln.
Jedenfalls aber erwartet zum Schluß nächster Woche die Kiste,
wahrscheinlich staunt Ihr dann wie fleißig ich gewesen bin...
Vor
einigen Tagen bin ich bei Comerzienrath Kronbügels gewesen, derselbe
hatte meine Bekanntschaft gewünscht, so bin ich den hingegangen und habe
dort einen recht schönen Abend verlebt. Morgen denke ich der Frau Kronbügel
den nöthigen Anstandsbesuch zu machen.
Von
meinem hiesigen Leben kann ich sonst nicht viel berichten ich arbeite ohne
Unterbrechung immer zu, und hoffe Euch damit Freude zu machen.
So
bitte ich Euch meine Lieben diesmal mit dem Wenigen zufrieden zu sein und
Euch von meiner Sehnsucht und Liebe genügen zu lassen
Dein
guter Vater
Bis
auf ein Original sind uns bisher nur sechs weitere seiner vielen Bilder
durch Reproduktionen bekannt geworden. Das Motiv "Pfingstchoral, vom
Kirchturm geblasen" war Vorlage für eines der Glasbilder hier im
Rathaus. Vielleicht trägt diese Ausstellung dazu bei, weitere Werke
seines Sömmerdaer Schaffens aufzuspüren. Herr Rolf Carl vom Heimat- und
Geschichtsverein ist daran interessiert, die Namen der Musiker auf den
Bildern herauszufinden.
Die
Detailtreue seiner Werke erleichtert es, auch heute nach über 100 Jahren
die Schauplätze seiner Bilder wiederzufinden. Bei einer Turmbesteigung im
Anschluss an diese Ausstellungseröffnung können Sie sich selbst auf die
Suche danach machen und die bescheidenen Lebensverhältnisse der Familie
Buchbinder und ihrer meist 40 Schüler auf sich wirken lassen.
Mein
Weg nach Sömmerda
Der
befreundeten Malerin Nicole Kaffanke aus Aachen habe ich eines Abends über
die künstlerische Arbeit meines Urgroßvaters erzählt. Dies war für sie
Anlass im Google nach „Otto Piltz“ zu suchen, wo sie einige Links fand
u.a. die Möglichkeit Postkarten mit Motiven von Otto Piltz zu erwerben,
Bernhard Hermann hat sie verlegt. Ich ahnte, dass hier ein Piltzsucher
war, für mich als Urenkel des Meisters ein Ansporn auch auf Sporensuche
zu gehen. Inzwischen haben wir eine Sammlung von Reproduktionen mit über
300 Werken sowie seine in der Familie erhalten gebliebenen Briefe an meine
Großmutter.
Aus
dem eben zitierten Geburtstagsbrief wusste ich, dass Piltz in Sömmerda
Musikerbilder gemalt hatte. Meine internet-Recherchen über Sömmerda
brachten mich auf die Homepage der Familie Steinhäußer und damit auf die
Geschichte der Musikerfamilie Buchbinder. Als ich dann bei Studien in der
Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg auf die
„Hochschule für Musik“ von Otto Piltz stieß, war für mich der Kreis
zu Sömmerda geschlossen.
Ich
schrieb an den Bürgermeister der Stadt Sömmerda, Herrn Flögel. Einige
Zeit später rief mich jedoch Frau Bärbel Albold von der Sömmerdaer
Allgemeinen an, die vom Bürgermeister angeregt über meine Piltzsuche
berichten wollte. Der Artikel ist im September 2004 erschienen, im
November wurde im Amtsblatt der Reisebericht „Eine Hochschule für
Musik“ nachgedruckt. Der Bürgermeister lud mich ein, 2005 eine
Ausstellung im Rathaus über Otto Piltz zu organisieren. Aufmerksam
gemacht durch den Artikel in der „Allgemeinen“ nahm Herr Carl vom
Heimat- und Geschichtsverein ebenfalls mit mir Kontakt auf. So konnte
diese Ausstellung auf einer breiten Basis organisiert werden.
Mein
Dank gilt dem Bürgermeister, Herrn Wolfgang Flögel, der die Idee zu
dieser Ausstellung hatte, Frau Christina Kubitz, der Leiterin des
Kulturamtes, für die Organisation der Räume, Ausstellungseinrichtungen,
Einladungen und Bewirtung, Herrn Rolf Carl für die umfangreichen
Informationen zu der Buchbinder-Musikschule und der Stellung des
Schaufensters in der Marktstraße mit den Trachtenpuppen, das seit einigen
Wochen auf die Ausstellung hinweist. Karin Weber und Eckard Hofmann aus
Marburg haben dankenswerterweise die Trachten aus ihrem Fundus zur Verfügung
gestellt und das Schaufenster gestaltet. Dank den Mitgliedern der Cappeler
Trachtengruppe „Capp ean Cäppche“ die uns mit ihren Darbietungen in
der evangelischen Marburger Tracht diese Ausstellungseröffnung
eingeleitet hat.
Es
hat mich sehr gefreut, dass die evangelische Kirchengemeinde an Bonifazius
uns heute ermöglicht im Turm die Öttchens Plätze suchen zu können,
mein herzlicher Dank.
Mein
besonderer Dank gilt dem unermüdlichen Piltzsucher, Herrn Bernhard
Hermann, der die Reproduktionen der Bildwerke und ihre umfangreiche
Kommentierung besorgte.
Lassen
wir noch einmal Öttchen sprechen:
Es
ist greulich, auf diesem öden Bahnhof auf Anschluß warten zu müssen!
Mit diesem trostlosen Gedanken ging ich ein Stück die nach dem Städtchen
führende Allee entlang.
„Ach
was“ dachte ich, „besiehst dir das Städtchen, bei der Hitze zwar auch
kein Vergnügen, doch vergeht die Zeit.“
So
schlenderte ich in kurzem die Hauptstraße des Orte entlang. Die
Schaufenster waren der Sonne wegen dicht verhängt und in den Läden kein
Käufer zu sehen. Nur am Ende der Straße, welche auf den Marktplatz mündet,
verschwand eben der Polizeidiener mit einer Klingel in der Hand im
Rathaus, und einige Gänse waren eifrig bemüht, das zwischen den Steinen
wuchernde Gras auszurupfen.
Nachdem
ich das Rathaus, ein altertümliches, respektables Gebäude umgangen,
erblickte ich die Kirche mit breitem Turm davor; alte Bäume umgaben den
Bau, einige Stufen führten auf diese grüne Oase...
Heute
werden Ihnen weder der Polizeidiener mit der Klingel noch die Gänse vor
dem Rathaus begegnen, trotzdem wünsche ich Ihnen beim Rundgang durch die
Ausstellung und der Besteigung des Bonifaziusturmes neue Eindrücke und
Reflektionen über eine Zeit, die nur 100 Jahre zurück liegt und doch so
anders war.
Richard Büning, Sömmerda 3. Juli 2005
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